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Versammlungsrecht: Einkesselung der Sitzblockade gegen FFDG-Demo war rechtswidrig

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Im November 2015 ging die Polizei gegen eine Sitzblockade vor, mit der gegen einen Aufzug des rassistischen Pegida-Ablegers FFDG in Greifswald protestiert wurde. Eine Betroffene klagte dagegen — mit Erfolg.  

Im Herbst 2015 fanden in vielen deutschen Städten fremdenfeindliche Demonstrationen statt. Auch in Greifswald formierte sich mit einiger Verzögerung unter dem Titel FFDG (Frieden, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit) ein vergleichbarer Ableger. Die Provinz-Pegida ging damals zeitweise im Zweiwochentakt auf die Straße.

Die rassistischen FFDG-Demonstrationen wurden von lauten Protesten begleitet

Auf Facebook veröffentlichte die Gruppierung FFDG Bilder, auf denen die Erhängung deutscher Spitzenpolitiker gefordert wird. Ihr Hauptredner, Norbert Kühl, behauptete dort unter anderem, dass Ausländer als Waffe gegen Deutschland eingesetzt würden und dass es einen generalstabsmäßig geplanten Jihad der Invasoren gegen das deutsche Volk geben würde. Er redete bei seinen Auftritten über die Blutreinheit von Juden und Illuminati, und bezeichnete Homosexualität als Hirnkrankheit. Es verwundert daher kaum, dass jeder dieser Aufzüge von lauten Protesten begleitet wurde.

Ende November demonstrierten etwa 40 Personen gegen eine FFDG-Versammlung in Schönwalde und bildeten auf der geplanten Wegstrecke eine spontane Sitzblockade. Die vor Ort tätige Einsatzleitung der Polizei unterstellte allen Protestierenden pauschal die Begehung von Straftaten, hinderte sie am Verlassen der Straße und kesselte sie ein. Anschließend wurden die Personalien aufgenommen, Taschen und Kleidung untersucht, ein Atemalkoholtest durchgeführt und schließlich ein Strafverfahren eingeleitet.

Gerichtsurteil zu Sitzblockade

Eine von dieser Willkür betroffene Person klagte gegen das polizeiliche Handeln und bekam nun, gute 2 Jahre nach dem Vorfall, Recht. Für Lara Seibold von der Rote Hilfe Greifswald keine große Überraschung. Sie erklärt in einer Pressemitteilung: „Als Rechtshilfeorganisation haben wir in den vergangenen Jahren vielfach Menschen betreuen müssen, die ganz ähnliche Erfahrungen wie die hier Betroffenen gemacht haben. Unser Eindruck ist, dass die hiesige Polizei sich um die Einhaltung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit häufig nicht viel schert. Vielmehr werden solche friedlichen Protestaktionen als Anlass zur Kriminalisierung und Datensammlung von politisch aktiven Menschen genutzt.“

Verwaltungsgericht: Auch eine Gegendemonstration genießt den vollen Schutz der Versammlungsfreiheit

In der Urteilsbegründung heißt es, dass eine Gegendemonstration den vollen Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit genießt, solange sie sich kommunikativer Mittel bedient und nicht ausschließlich den Zweck erfüllt, die Veranstaltung, gegen die sie sich richtet, mit physischen Mitteln zu verhindern. Wenn eine Sitzblockade in einer Vereitelung des Aufzugs resultiert oder dazu führt, dass die geplante Strecke an zumindest einer Stelle vollständig oder überwiegend blockiert wird, kann auch bei dieser Aktionsform eine erhebliche Störung im Sinne des Versammlungsgesetzes vorliegen. Dies treffe jedoch nicht zu, wenn der Aufzug die Sperre tatsächlich ohne weiteres umgehen kann.

Da es der Polizei problemlos möglich gewesen ist, auf den Gehweg auszuweichen und den Aufzug an der Sitzblockade vorbeizuführen, lag eine solche Störung im Fall des FFDG-Aufzugs nicht vor. „Dafür spricht auch, dass der Polizeibeamte PK U. zwar an die Teilnehmer der Blockade den Vorwurf richtete, sie würden an einer Verhinderungsblockade mitwirken, die Teilnehmer dann jedoch daran hinderte, den Ort zu verlassen. Einzelne Personen wurden von der Polizei daran gehindert, sich zu entfernen, worauf sie sich wieder auf die Straße setzten.“

Nach Ansicht der Richter handelte es sich bei der Protestaktion um eine demonstrative Blockade. Die Teilnahme daran stellte weder eine erhebliche Störung der Versammlung nach §21 VersammlG dar, noch eine Gewalttätigkeit. Als Gewalt wird der Einsatz von Zwangsmitteln angesehen, mithin ein tätiges Handeln gegen Personen. Die rein passive Verwendung des Körpers reiche hierzu nicht aus. Daraus folgt, dass die mit der Einkesselung verbundene Freiheitsentziehung nicht gerechtfertigt und damit rechtswidrig war. Ebenso rechtswidrig waren die damit verbundenen Folgemaßnahmen gegen die eingekesselten Demonstrierenden: Identitätsfeststellungen, Filmaufnahmen, Durchsuchungen von Taschen und Kleidung sowie Atemalkoholkontrollen.

Die Roten Hilfe Greifswald kennt ähnlich gelagerte Fälle von mehreren Demonstrationen aus den letzten Jahren. „Wir ermuntern ausdrücklich gegen solch offensichtlich rechtswidriges Verhalten vorzugehen. Es braucht zwar einen langen Atem, aber die Einhaltung von Grundrechten muss leider immer wieder erkämpft werden! Wir hoffen, dass dieses Urteil auch die Polizei in Vorpommern dazu bringt sich künftig an geltendes Recht zu halten.“

Betroffene des Polizeikessels vom 28.11.2015 sind angehalten sich bei der Roten Hilfe Greifswald zu melden, da die Polizei zu einer Entschädigungszahlung an die Betroffenen verpflichtet ist. Eine solche muss jedoch beantragt werden.


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